Cocktails, gebrannte Wasser, Zigarrendunst -- die Gespräche an Orlandos Bar drehen sich um Medienkritik, Kultur, Philosophie, um Gesellschaftspolitik, Religion, Familie und Erziehung, um Mann und Frau -- und ums Kochen. Gejammer, Gelächter, Angeberei sowie gepflegte Beschimpfungen sind an der Tagesordnung.



Donnerstag, 30. Dezember 2010

Gestammel und Unehrlichkeit zum Jahresende

Die Mamabloggerinnen Michèle Binswanger und Nicole Althaus pralaggen heute grossartig mit ihrem schon eine Woche alten Auftritt in einer öden Talksendung einer Lokal-TV-Station - TalkTäglich von Telezüri - anlässlich der Ehrung "Journalistinnen des Jahres" durch das Fachmagazin "Der Schweizer Journalist" (bei dem 600 andere Journalistinnen und Journalisten aufgefordert waren, den oder die Besten aus ihrer Berufsgruppe zu küren; wieviele Branchenleute teilgenommen haben und auf wen sonst sich wieviele Stimmen verteilt haben, erfährt man natürlich nicht).


Liebe Gäste an Orlando's Bar, sehen sie sich das Video mal an:

Max vom Maxwort und Orlando Strasser werden darin sehr unschmeichelhaft erwähnt. Auf die dümmliche Frage des Moderators: "Die Kommentare muss man doch irgendwie kontrollieren, oder?" gibt eine stammelnde Mme Althaus (die übrigens so plastisch-lebendig viel hübscher aussieht als auf den seltsamen Bildern) zum Besten:

"Also...nun...ehm...ja. Am Anfang haben wir das sehr offengelassen, mussten dann aber schon Kommentare, die andere angriffen und beleidigten unter der Gürtellinie, die mussten wir anfangen auszuschalten".

LIAR, LIAR, PANTS ON FIRE!!!

Beachten Sie auch den Gesichtsausdruck der beiden Zensurtanten, insbesondere das verlegene Grinsen bei Binsi, wie Luusmeitli, die bei etwas ertappt wurden.

Hmmm..fragen Sie sich nicht auch gerade, werte Bargäste, ob Althaus/Binswanger im März auch die Kommentare "ausgeschaltet" haben, die Strasser einen "Dreckskerl", "treibts mit einer Gummipuppe zuhause", "Soziopath", "Fascho", "Kinderficker" nannten oder ihm Gewalt androhten?

Ach so, nein, diese Kommentatoren/-innen wurden nicht ausgeschaltet. Wozu auch? Viel einfacher war es, diejenigen "auszuschalten", denen die Kommentare unter der Gürtellinie galten!

Meinen gestrigen diesbezüglichen Kommentar auf dem Mamablog - im Tonfall sachlicher, als meine Schreibe hier jetzt – hat Frau Binswanger natürlich zuerst kontrollgelesen (wie alle Kommentare in denen ihr Name erscheint: die sind Chefsache) und dann klammheimlich im Papierkorb verschwinden lassen.

Journalistinnen des Jahres - pah!

Und bei deiser Gelegenheit - Ihnen allen ein gutes Nöies und gute Gesundheit, Mut zur Ehrlichkeit, viel Erfolg und unverminderten Elan bei ihren Vorhaben und Projekten!

En guete Rutsch!

Samstag, 4. Dezember 2010

Lasst die Schafe nun friedlich grasen

Ich könnte jetzt hier an meiner Bar summarisch referieren, was ich in dem Monat seit dem letzten Eintrag alles hier einschreiben wollte (eine flammende Rede für mehr reiche Leute und Steuerwettbewerb - und wieso man keinesfalls die sozialistische Steuerinitiative der SP annehmen dürfe sowie eine detaillierte Auseinandersetzung, wieso der Gegenvorschlag zur Auschaffungsinitiative nichts taugt).

Aber eben: die Zeit vergeht im Flug und die Arbeit im echten Leben ist (gottseidank) nicht gerade zu wenig.

Das Intelligenteste, was ich in der vergangenen Woche nach der Abstimmung zur SVP-Auschaffungsinitiative gelesen habe, fand sich ausgerechnet, am letzten Mittwoch, im Tagi. Da macht sich zwar ein Linksliberaler Gedanken zur Sache, aber er kritisiert vor allem die kopf- und wirkungslos agieren Linksgrünen in der Schweiz, die lieber steinzeitkommunistische Parteiprogramme schreiben, als hier mit offenen Augen in der Gegenwart politisieren.

Auch der Mob der am Sonntag gegen das Plebiszit randalierte und frisch renovierte Zunfthäuser angriff und ein Grüner Polizeidirektor, der am liebsten selber mitdemonstriert hätte, wie er sagte, sind eher ressentimentgeladene Demokratiefeinde denn wirklich intelligente Diskurspartner.

Ich meine ja nur: wir brauchen doch auch einen Gegner, gegen Sozis, die wehr-, saft- und ideenlos am Boden liegen ist nicht so lustig zu kämpfen...


Hier der ganze Text (um Urheberrechte schere ich mich keinen Deut):

Der Schlaf der Gerechten von Oliver Zimmer

Die kritische Intelligenz der Schweiz lamentiert oft, die SVP habe das Land in eine Verdummung gestürzt. Scheinbare Beweise sind rasch zur Hand: Aufstieg der Partei zur stärksten politischen Kraft im Land; der Ausgang der Minarett-Initiative; schliesslich die Annahme der

Ausschaffungsinitiative am Sonntag. Es ist davon auszugehen, dass man sich künftig noch stärker an die Idee der angeblichen Volksverführer klammern wird. Beim Argument handelt es sich in Wirklichkeit um eine intellektuelle Leerformel.

Denn die Blocher-Partei befindet sich auch deshalb im Hoch, weil der fortschrittliche Liberalismus in der Schweiz versagt. Defizite bei der Deutung der Schweizer Geschichte und Gegenwart spielen dabei eine zentrale Rolle. Die Meinung etwa, dass sich Hunderttausende von Menschen von einer gut geschmierten Propagandawalze einfach so überrollen lassen, ist in der modernen Geschichtsforschung längst überholt. Ideologien lassen sich nur dann verkaufen, wenn sie die Leute irgendwo abholen.

Jedem sein Wutbürger?

Warum hat die SVP mit ihren Initiativen zu den Themen «Fremde» und «Ausländer» Erfolg? Manche Kommentatoren glauben, es liege an der Globalisierung; etwa daran, dass die Konkurrenz auf dem Wohnungs- und Stellenmarkt grösser geworden sei. Beliebt ist auch die Vorstellung, wonach sich die gesellschaftliche Entwicklung so sehr beschleunigt habe, dass die sozialen und kulturellen Verhältnisse unübersichtlich geworden seien. Mit der Folge, dass sich die Leute in ihrer Haut nicht mehr wohlfühlen würden und ihnen die einst vertraute Umgebung fremd geworden sei.

So ähnlich wurde kürzlich, in Anlehnung an philosophische Grossmeister, auch in dieser Zeitung räsoniert: Die Globalisierung habe den «Wutbürger» erzeugt, dessen Ressentiment sich vor allem gegen den «Weltbürger» richte, der sich den Blick aufs grosse Ganze bewahrt habe. Solches hat man, so oder ähnlich, schon oft gelesen. Der Sound klingt vertraut. Vor allem aber ist er merkwürdig geschichtslos.

Der grosse Assimilationsdruck

Ganz ohne historische Substanz geht es aber nicht. Sie zeigt zum Beispiel, dass alte Republiken einen grösseren Assimilationsdruck ausüben als nicht republikanische Staatswesen. Die Maxime von der einen und unteilbaren Nation gehört seit der Revolution zur Grundausstattung des nationalen Selbstverständnisses in Frankreich. So bezeichnete Nikolas Sarkozy die Burka als unvereinbar mit den Grundsätzen der Französischen Republik.

Es gibt aber wohl kaum eine Gesellschaft, die einen ähnlich grossen Assimilationsdruck erzeugt wie die kommunal verfasste Republik Schweiz. Anders als im benachbarten Ausland haben es die Schweizer Gemeinden bis heute geschafft, die Machtausdehnung des Staats in zentrale Bereiche des öffentlichen Lebens zu verhindern. So gibt es kein anderes Land, wo die Gemeindebürger über die Aufnahme ins Schweizer Bürgerrecht befinden.

Assimilationsmaschine stockt

Das hat Folgen: Anders als in andern Ländern agiert in der Schweiz nicht der Staat als Gralshüter der Nation, sondern die Bürgerin und der Bürger. Damit wird das Nationale zum festen Bestandteil der bürgerlichen Lebenswelt – und damit auch die Assimilation. Jeder Schweizer ist ein potenzieller Schweizermacher. Genau dort holt die SVP die Leute mit ihren Initiativen ab. Kriminalität von Ausländern bildet die Antithese zur Assimilation. Das mag mit erklären, warum es vielen Leuten anscheinend egal war, dass die SVP-Initiative nicht unterscheidet zwischen leichten und schweren Delikten. Jedes Delikt stellt die Integrationsbereitschaft infrage. Da schlägt offenbar der Schweizermacher in manchen Schweizern zu. Das pauschal als Fremdenfeindlichkeit zu taxieren, ist jedoch billig und erklärt wenig.

Dass die SVP die Geschichte und Gegenwart der Schweiz in einem zentralen Bereich offenbar besser verstanden hat als ihre Gegner, das ist mit das Bedenklichste der Abstimmungen der letzten Jahre. Dem Land fehlt ein intelligenter Linksliberalismus. Nötig wäre zum Beispiel, dass sich die selbst ernannten Weltbürger endlich kritisch mit dem Thema Integration auseinandersetzen. Das bedingt aber ein besseres Verständnis für die historischen Prägekräfte der Schweiz.

Wer glaubt, die Geschichte verliere mit der Globalisierung an Bedeutung, huldigt einem Mythos. Mit Appellen an die Willensnation ist es indessen nicht getan. Von zentraler Bedeutung ist die kommunale Prägung der schweizerischen politischen Kultur. Der Gemeinde-Republikanismus hat immer wieder starke ausschliessende wie integrierende Kräfte freigesetzt. Die Politik der SVP appelliert an Erstere. Fortschrittliche Liberale sollten beginnen, sich für sein integratives Potenzial zu interessieren.

Der Zürcher Historiker Oliver Zimmer lehrt Moderne Geschichte an der renommierten Universität Oxford. ---

Was denken Sie, liebe Leser? Hat Zimmer Recht? Sieht er vom Ausland aus etwas klarer als unsere Journalisten, Linkspolitiker und Chefintellektuellen im Land?

Wieso haben die Linken zum Beispiel Sie nicht erreicht mit ihren Anliegen? Sind auch Sie von der "millionenschweren Propagandamaschine" des Economiesuisse überrollt worden und stimmten danach wie unter innerem Zwang gegen die Steuer"gerechtigkeits"initiative?

Ist es nicht eine schallende Ohrfegie für Parlament und Bundesrat, dass in keinem einzigen Kanton der Gegenvorschlag eine Mehrheit findet? Eine Ohrfeige wofür?

Übrigens ist am Wochenende etwas passiert, was bisher niemand für erwähnenswert befand: Die SVP ist mit einem ihrer ureigensten Anliegen bis weit über ihre Wählerschaft hinaus in die Mitte der Gesellschaft marschiert. Und dies bei einer unüblich hohen Stimmbeteiligung: die Linken gingen für die Steuerinitiative stimmen und legten dann gleich noch ein Doppelnein gegen die Schäfchenplakate in die Urne. CVP, FDP und die anderen "anständigen" Parteien der schwammigen Mitte haben brutal Schiffbruch erlitten.

Lassen Sie mich mit dem persönlichen, ehrlichen Wunsch schliessen, dass wir nun eine Weile Ruhe haben mögen vor dem Ausländerthema und uns wichtigeren Themen zuwenden. Immerhin sind nächstes Jahr Wahlen und da möchten wir schon gern wissen, welche Ideen vorhanden sind, um die Schweiz in eine erfolgreiche, sichere und unabhängige Zukunft zu führen (darunter gibts für mich nichts), und nicht nur darum, ob man jetzt einen oder zwei Bundesräte beanspruchen kann oder nicht.

Heute schliessen wir mit J.S. Bach das Kapitel "Schäfchenplakate" ab, das die Schweiz seit drei Jahren in Atem gehalten hat. In Bachs Kantate BWV 208 heisst es:

Schafe können sicher weiden,
Wo ein guter Hirte wacht.
Wo Regenten wohl regieren,
Kann man Ruh und Friede spüren
Und was Länder glücklich macht.

Regenten wollen wir zwar keine und die Hirten sind in unserer Demokratie wir selber - oder allenfalls der Herr ganz oben. Und anhören kann man sich das herrliche Stück Musik hier: http://www.youtube.com/watch?v=TYjqnlc7MRw

Schönen zweiten Advent Ihnen allen und ihren Familien!