(Regula Stämpfli in der Berner Zeitung)
Ein Sieg also! Aus Diskursen geht man (oder eher eben frau) als Sieger hervor – ganz besonders, wenn man ihnen eine genderrelevante Note abringen kann? Danke, Regula Stämpfli, ich werde es mir merken.
Die üblich verdächtige Presse überschlägt sich mit Lobpreisungen und erquicktem Quietschen über den bundesrätlichen Richtungsentscheid von letzter Woche: Ausstieg aus der Kernenregie. Bis 2035. Dann soll auch das letzte Atomkraftwerk auf Schweizer Boden abgeschaltet werden. Entschieden hat – obwohl die Stimmverhältnisse geheim sind – nach Ansicht der Schweizer Medienöffentlichkeit die Frauenmehrheit im Rat mit Simonetta Sommaruga, Eveline Widmer-Schlumpf, Doris Leuthard und Micheline Calmy Rey. Unsere Landesväterinnen!
Bloss: was ist entschieden? Welche „Macht“ hat ein solcher bundesrätlicher Entscheid? Als wie endgültig „vernünftig“ darf er gelten? Tatsächlich gilt: Weder verlangt das System Schweiz nach einem solchen noch ist in diesem Land die Exekutive letztinstanzlich für solche Entscheide zuständig!
Es ist eine lauwarme Empfehlung, eine magistrale Absichtsbekundung – nicht weiter relevant für das demokratische Wesen dieses Landes. Weder gehören dem Bund die AKWs noch hat er zu seiner Von-Oben-Herab-Entscheidung das Parlament befragt. Es gibt noch nicht mal einen Gesetzesartikel, keine Verordnung, die dem Scheiss Legitimität verleiht. In der Schweiz gibt es kein Regierungsprogramm. Es gibt nur Regierungskompromisse, und die sind an der Urne schon oft gescheitert.
Es wird damit nichts weniger die Verluderung der politischen Führung dieses Landes manifest, die heute schon so regiert, wie es in Regierungs-Oppositionssystemen der Fall ist: vor Wahlen schmeichelt man populistischen Strömungen (z.B. der Anti-AKW-Psychose nach Fukushima) und hofft für sein Parteihäufchen das beste herauszuholen. Und der Sonntagspresse gegenüber erinnert man sich wieselhaft urplötzlich der Tatsache, dass man als Vertreter einer Partei – und nicht von Gottesgnaden – in die Regierung gewählt wurde.
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Ehrlicher und auch lustiger ist da der oberste eidgenössische Komödiant des De-Weck’schen Staatsfernsehens. Viktor Giacobbo wird im grossen Sonntagszeitungs-Interview dämlicherweise gefragt:
„Im Vergleich zu Harald Schmidt oder der ‚Daily Show’ wirkt Giacobbo/Müller sehr nett, sehr schweizerisch.“ – „Wie soll sie sonst wirken? Argentinisch? Die Sonntagszeitung wirkt gegenüber der New York Times auch sehr schweizerisch. Deswegen braucht niemand einen Minderwertigkeitskomplex zu kriegen.“
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Und unser aller Lieblingsintellektueller unter den SVP-Volksvertretern in Bundesbern, Christoph Mörgeli, lässt uns in der Weltwoche an folgender Passage aus Christoffel von Grimmelshausens „Simplicissimus“ teilhaben, in der der durch die Wirren des Dreissigjährigen Krieges (1618-48) kurzfristig ins „Paradies“ verschlagene Titelheld die Schweiz beschreibt:
„Das einzig Land, darin der liebe Fried noch grünete. Da sah ich die Leute in dem Frieden handeln und wandlen, die Ställe standen voll Vieh, die Bauernhöf liefen voll Gäns und Hühner und Enten, die Strassen wurden sicher von den Reisenden gebraucht, die Wirtshäuser sassen voll Leute, die sich lustig machten. Da war ganz keine Furcht vor dem Feind, keine Sorg vor der Plünderung und keine Angst, sein Gut, Leib noch Leben zu verlieren. Ein jeder lebte sicher unter seinem Weinstock und Feigenbaum (…) in lauter Wollust und Freud, also dass ich dies Land für ein irdisch Paradies hielt.“
Wo sind solcherlei verbürgte Furcht- und Sorglosigkeit hin, wohin die helvetische Wollust und Freud entschwunden? Wo bleibt unser Stolz, Leute? Die modernen Schweizer wollen lieber so sein, wie das ganze mediokre Europa und die miserable Welt. Sie schämen sich dessen, was ihre Vorfahren in harter Arbeit hervorgebracht haben.