Cocktails, gebrannte Wasser, Zigarrendunst -- die Gespräche an Orlandos Bar drehen sich um Medienkritik, Kultur, Philosophie, um Gesellschaftspolitik, Religion, Familie und Erziehung, um Mann und Frau -- und ums Kochen. Gejammer, Gelächter, Angeberei sowie gepflegte Beschimpfungen sind an der Tagesordnung.



Dienstag, 26. April 2011

Psychoanalyse

Heute analysiert unsere geschätzte Lina die Psychoanalyse - was sie taugt, wozu sie nicht taugt und was ihr fehlt: Die Psychoanalyse bei Lina auf der Couch, sozusagen. Orlando dankt für Lina für die Veredelung seiner Bar mit ihrer Carte Blanche.


Diachron zum nicht angekündigten Erfolg

Angedachtes zu Psychoanalyse (und noch Angedachteres zu Psychotherapie)

von Lina

I. Effektiv, weil teuer und blöd?

30 Stunden à 50 Minuten und CHF 5000 später: Ich marschiere durch Zürich, erleichtert und kuriert.

30 Stunden etc., d.h. 170 Stunden früher als vorgesehen und CHF 31'000 billiger als befürchtet, was, etwas enger gefasst, heisst: nach ein paar Sitzungen, die mir genau zwei (extern indizierte) Einsichten beschert hatten, und nach mehreren Liegungen, die mir genau keine einzige (extern indizierte) Einsicht beschert hatte, was wiederum heisst: nach dem beträchtlichen Aufwand von Zeit - insgesamt 70 Reisestunden - und Geld schaltete sich plötzlich ein fast vergessenes Gut ein: Geist. Bisher hing er wimmernd an der Analysandinnen-Garderobe, zweiter Haken; ich hatte ihn dort aufgegeben.

Ich fühlte mich - mitten in der Psychoparalyse - urplötzlich himmelzwirnlausig verarscht. Warum? Warum geschieht das urplötzlich nach nur 30 Stunden à nur 50 Minuten, nach lumpigen CHF 5000?

Nachdem der Analytiker - mit süffisantem Unterton, wie mir schien - festgestellt hatte, mein Freund halte mich möglicherweise für einzigartig, fühlte ich mich blitzartig - parallel zum Verarschtwordensein - so, wie ich mich schon immer fühlen wollte: in Ordnung, stinknormal. Mittelwertige Kränkungen, Spannungen, ein paar Beulen, Dellen, Kratzer, ein Perversiönchen dort, ein Ignoränzchen da, Sucht, ab und zu Lust auf Suizid. Welcher ernstzunehmende Mensch hat das nicht, hä?

Ich marschierte, nein, ich blitzte auf roten Schuhen durch Zürich wie eine raketenbetriebene Königin, blinzelte dann in die Sonne und war froh wie die Maus im Haberstroh.

Die Analyse funktioniert! Aber nicht wie der Analytiker will. Der grössenwahnsinnige, autoritäre, eifersüchtige, mega-eitle, kokainsüchtige, nonstoppaffende, ab Mitte 40 den Sex entbehrende Sigmund Freud (ansonsten: grandioser Typ) hat nicht vorgesehen, dass die Patientin kuriert wird, weil sie den Blödsinn der "Kur" während des Kuraufenthalts auf der Couch erfasst und sich - aus dem lächerlichen Tun windend, das die Lächerlichkeit der Welt abbildet - gesund und munter fühlt. Homerisch lachend.


II. Der Anfang

Meine Mutter. mater semper. Ein Karzinom im letzten Jahr. Kurz vor der Operation schrieb ich dem Analytiker eine E-Mail: Bitte empfangen Sie mich, in mir kommen ganze Geröllhalden in Bewegung. Er wies mich nicht ab. Schon nach der ersten Sitzung: Skepsis kroch im ganzen Körper umher, vom Magen in den Kopf, vom Kopf ins Bein. Als Alternative schrieb ich damals einen Dekalog mit dem Titel "Anstatt Analyse":

  1. mehr Horrorfilme schauen (vorzüglich Werwolffilme)
  2. beten
  3. den Abwasch regelmässig besorgen
  4. kompliziertes Zeug lesen
  5. krasse Geschichten schreiben
  6. immer wieder Barolo trinken
  7. Kindern in die Augen schauen
  8. den Körper meiner Mutter beobachten
  9. verzeihen
  10. Kurs zur Montage von Schneeketten besuchen (Garage Dosch)

Ein Anfang, was meint Ihr?

Meine Mutter überlebte, und ich ging trotzdem weiter in die Analyse; es war inspirierend. Ich schrieb und schrieb. An einem Tag - es war der Sonntag nach der zweiten Sitzung - gleich vier Texte: eine Kindergeschichte, eine Analyse-Story (es folgten noch weitere), eine Geschichte über eine Mutter, die ihr Kind verliert, die poetisierte Aufarbeitung eines Suizids. Dafür hat(te) sich der ganze Türk bereits gelohnt, ich sage es klar und deutlich: Der ganze Türk hat sich gelohnt. Aber nicht wegen der Psychoanalyse, sondern trotz der Psychoanalyes, gelohnt, einzig wegen meines Willens zur kreativen Auseinandersetzung mit dem Thema "Psychoanalyse", mit Freud, mit der Geschichte, mit dem Analytiker, mit dem Raum, in dem ich nun regelmässig lag. Die Reise in diesen Raum war inspirierend. Aber dort fand kein Gespräch statt. Es gab keine Richtung, kein Ziel, nicht einmal eine Antwort auf meine expliziten Fragen. So funktioniert Analyse nicht, sagte der Analytiker. Okay. So funktioniert Analyse nicht. Denn Analyse ist eine höchst autoritäre Sache. Und deshalb, lieber Herr Analytiker, Analyse funktioniert nicht "nicht so", sondern überhaupt nicht. Kein bisschen. Denn es gibt ein


III. Problem, grundsätzlich

"Schon hier zeigt sich das grundlegend fatale sog. hermeneutische Missverständnis der Psychoanalyse:

Freud hatte - wie die meisten PsychoanalytikerInnen - in der Tat eine ganz seltsame und völlig abwegige Auffassung von Wissenschaft: sie verwechselten Ideen, Assoziationen und Phantasien, die ihr Geist zu einem Thema produzierte und mit dem die Wissenschaft anfängt mit dem Ende der Wissenschaft. Sie erkannten nicht, daß die Wissenschaft damit zwar anfängt, dann aber kommt die harte Arbeit des Daten Sammelns, Belege Suchens, Experimente, Untersuchungen und empirische Erhebungen Durchführens, des faktischen und schlüssigen Zeigens und Beweisens, der Evaluation. Sein absonderliches und abwegiges Vorgehen hat Freud sogar versucht, mit einem eigenen Prinzip zu rechtfertigen, wonach überhaupt nur PsychoanalytikerInnen fähig waren, psycho-patho-logische Erkenntnisse zu gewinnen. Daraus hat sich ein weiteres seltsames Phänomen ergeben, das der grenzenlosen Überhebung, eine Art Auserwähltgebaren und in der Folge Isolierung, Abschirmung und Abschottung, ja eine Art mentale Inzucht. Zu einer Vorbedingung, ob eine psychoanalytische Aussage richtig oder falsch ist, mußte man der Zunft der PsychoanalytikerInnen angehören: Psychoanalyse ist damit zur scholastischen Theologie demutiert.

Die traditionellen PsychoanalytikerInnen im Geiste Freuds mein(t)en, sie könnten bequem im Sessel durch bloßes Denken und Phantasieren das mühselige empirisch- experimentelle Geschäft des Wissen-Schaffens umgehen. Damit ist ein extremer Subjektivismus und Literarismus an die Stelle empirischer Forschung getreten, was gut erklärt, daß praktisch jede PsychoanalytikerIn letztlich ihre "eigene Schule" bildet. Das einzige Kriterium für richtig und falsch wird die subjektive Phantasie, das Für-Wahr-Halten der PsychoanalytikerIn. Nachdem experimentelle und empirische Kriterien mißachtet und für irrelevant gehalten wurden, ist eine Situation eingetreten wie in der Theologie und mittelalterlichen Scholastik. Um einen Sachverhalt aufzuklären, untersucht man den Sachverhalt nicht experimentell und empirisch, man schlägt bei Freud nach, wie weiland die Theologen sich weigerten, einfachste Experimente durchzuführen und stattdessen lieber bei Aristoteles nachlasen, was der meinte - wie es Brecht in seinem Galilei auf unnachahmliche Weise brandmarkte und geißelte." http://www.sgipt.org/th_schul/pa/gesch/kokain.htm

Kann man das besser sagen? Ja, definitiv. Aber das ist inhaltlich schon ziemlich gut, oder?

Was ich dazufügen möchte (ganz kurz, keine Angst!): Der Psychoanalyse fehlt ein spirituelles Fundament, ein Glaube, die Liebe zum Menschen.

IV. Nützt *hoffnungschöpf * Psychotherapie?

Dass ich der Meinung bin, Psychoanalyse sei der reinste Habakuk (und trotzdem in meinem Fall keineswegs sinnlos), habe ich oben kund getan. Lustigerweise hat dies auch meine Meinung betr. Wirksamkeit und Nutzen der Psychotherapie stark angegriffen. Ich halte auch die Psychotherapie, spätestens seit letzer Woche, für komplett überflüssig, wenn nicht schädlich.

Was fehlt ihr? Ich habe da ein paar Ansätze. Ihr auch? Lasst uns darüber reden! Unten.

***

Bilder: Freuds Originalcouch in Wien (oben), "Sigmund Freud" von Ludvik Glazer-Naude (unten)

Montag, 25. April 2011

Ostermontag

Fassen wir das Geschehen zusammen: Der Jesus ist also verhaftet, gefoltert und gekreuzigt worden und am dritten Tage auferstanden. Er ist damit zum Christus geworden und der Göttliche Heilsplan hat sich erfüllt. Jesus hat als Opferlamm die Sünden der Welt hinweggewaschen und jetzt sind wir alle erlöst. Schön.

Aber was jetzt?

Das werden sich auch die Jünger gefragt haben. Etwas ätzend ist es ja schon: Da schickt der Herr seinen Sohn, lässt ihn Wunder vollbringen, leiden und sterben und auferstehen, uns alle erlösen - und wozu? Für ein Königreich im Himmel. Schön und gut, aber was haben wir hier unten davon, werden sie sich gefragt haben in ihrer Trauer und Enttäuschung. Zwei von ihnen befanden sich auf dem Weg nach Emmaus, als der Herr ihnen in ihrer Agonie abermals erschien und sie ihn nicht erkannten. Hier ist diese Begebenheit sehr schön zusammengefasst und erklärt.

Und er sprach zu ihnen: O ihr Toren und trägen Herzens, zu glauben alle dem, was die Propheten geredet haben! Mußte nicht Christus solches leiden und zu seiner Herrlichkeit eingehen? Und fing an von Mose und allen Propheten und legte ihnen alle Schriften aus, die von ihm gesagt waren. (Luk 24:25-27)

Zwei Dinge sind bemerkenswert:

1) Es braucht jetzt einen kathartischen Augenblick, ein Aha-Erlebnis seitens der Jünger.
2) Christus spricht zu ihnen von der heiligen Schrift, vom Auszug aus dem Paradies, von Noah, von Moses und der Erwartung des Messias.

Und er setzt das Geschehen in einen grossen heilsgeschichtlichen Zusammenhang: er nimmt sein Zweites Kommen, den Anbruch seiner Herrschaft ad dexteram Patris voraus - die Parusie. Das Ende der Geschichte, der Moment wo nach Luther Zeit und Raum zusammenkommen, Gleichzeitigeit des Ungleichzeitigen. Der jüngste Tag, an dem die irdische Herrschaft Gottes anbricht. Und eine Art paradiesischer Zustand wieder hergestellt wird.

Am Abend erscheint er der versammelten Jüngerschar erneut und entbietet i
hnen den Friedensgruss: Pax vobiscum!

Er sprach aber zu ihnen: Das sind die Reden, die ich zu euch sagte, da ich noch bei euch war; denn es muß alles erfüllet werden, was von mir geschrieben ist im Gesetz Mose's, in den Propheten und in den Psalmen. Da öffnete er ihnen das Verständnis, daß sie die Schrift verstanden, und er sprach zu ihnen: Also ist's geschrieben, und also mußte Christus leiden und auferstehen von den Toten am dritten Tage und predigen lassen in seinem Namen Buße und Vergebung der Sünden unter allen Völkern und anheben zu Jerusalem. Ihr aber seid des alles Zeugen. Und siehe, ich will auf euch senden die Verheißung meines Vaters. Ihr aber sollt in der Stadt Jerusalem bleiben, bis ihr angetan werdet mit der Kraft aus der Höhe. (Luk, 24:44-49)

Und tritt mit ihnen hinaus und fährt gen Himmel! Sie aber gingen in den Tempel und lobpreisten Gott!
Vierzig Tage werden jetzt vergehen, vierzig Tage zwischen seiner Auferstehung und seiner Auffahrt. Aus den Jüngern werden Apostel werden, aus den Schülern werden Botschafter mit klarem Auftrag. Und diese Mission wird die Welt verändern.

Hier endet nun Orlandos Karblog. Diese kleine Übung hat mir grossen Spass gemacht und es ist mir Schnuppe, was meine Gäste davon halten. Mir selber hat dieses (persönliche) Naherlebnis das Verständnis für einige zentrale Glaubensinhalte des Christentums geöffnet. Ich hoffe sie alle hatten eine schöne Ostern. Geniessen sie den Tag mit ihren Lieben und bleiben sie mir gewogen.

Freitag, 22. April 2011

Ostern

et ressurexit! - The Lord has risen!

Viel stärker und wichtiger noch als Jesu Leben und Wirken und sein Tod am Kreuz ist seine Auferstehung von den Toten an Ostern. Heute wird Jesus zum Christus, die Vorsehung erfüllt sich, ein neues Zeitalter bricht an. Am heutigen wichtigsten Tag des christlichen Jahres hat Gott den Bund mit den Menschen erneuert und die gesamte Schöpfung erlöst. An seiner Seite sitzt Jesus Christus im Himmelreich - ad dexteram Patris.

Zu unterscheiden sind die Bedeutungen von Ostern in drei übergeordneten, ineinander verwobenen Narrativen:

1) Ostern ist nicht nur der dritte Akt im Passionsgeschehen, sondern der Tag markiert den Wendepunkt, ist der erste Tag der neuen Zeit. Die ersten beiden umfassen Abendmahl, Kreuzigung, Grabesruhe (Ostersamstag). Ostern, der Auferstehungstag bezieht sich auf die Entdeckung des leeren Grabes am „ersten Tag der Woche“ (Mk, 16:2, Matt 28:1, Luk 24:1, Joh 20:1) und auf die Jesuserscheinung vor einigen seiner Jünger am Abend desselben Tages (Luk 24,21). Zudem bringt diese geprägte Formel Jesu Auferstehung mit mehreren vorgegebenen Traditionen in Verbindung. So ist der „dritte Tag“ im jüdischen Tanach (hlg. Schrift) häufig der Tag einer Rettung aus Todesnot und ultimativen Wende zum Heil durch Gottes Eingreifen in die Geschichte.

2) Pasqua (aram. pas-cha) ist sprachlich und theologisch mit dem jüdischen Pesssach verbunden und weist damit auf die unauflösbare Beziehung der Auferstehung Jesu zur Schöpfungsgeschichte, zum Opfer Isaaks, zum Auszug der Israeliten aus der Sklaverei, der Durchquerung des Roten Meeres, des Opferlammes und die bleibende Angewiesenheit des Christentums auf dessen Wurzeln aus dem Judentum hin.

3) Darüber hinaus ist unmissverständlich klar geworden, dass Jesus Christus der Messias, der Gesalbte, der Heilsbringer aus dem Alten Testament ist. Es ist durch die Vorsehung und durch die jüdischen Propheten legitimiert. Abgelehnt vom jüdischen Volk, das einen politischen Einiger und neuen irdischen König erwartete, errichtet Christus sein Königreich zunächst im Himmel um in seinem Zweiten Kommen am Jüngsten Tag sein Friedensreich auch auf Erden zu errichten.


Zum heutigen Tage der Auferstehung und Erlösung veröffentlicht Orlando's Bar exklusiv eine Morgenmeditation unseres geschätzten lic. theol. Fufi.


(Achtung: Ich schreibe diesen Text ausdrücklich als evangelisch-reformierter Theologe!)

An Ostern feiern wir die Auferstehung des am Kreuz ermordeten Jesus von den Toten.

Und wir Christen stimmen zumindest darin überein, dass mit dem Tod Jesu und seiner Auferstehung wir Menschen erlöst sind.

Aber bereits da sind wir Christen schon uneins, nämlich in der Frage:

Wie hat das denn geschehen können?

Und noch viel uneiniger sind wir, wenn's denn drum geht, die Konse

quenzen der Erlösung für unseres eigenes Leben zu bedenken.

Ihr alle kennt die leider häufig sehr dunkle Geschichte der Kirchen und der sogenannten "Gläubigen", und ich hoffe für euch, dass ihr diese deren schlechte Seiten nicht habt an der eigenen Seele erfahren müssen!

Deshalb sage ich hier nur meine eigene Meinung, und die geht so:

Indem GOTT den MENSCHEN zugelassen hat, seinen Sohn zu ermorden, sagte er ihnen: Hey Jungs und Mädels, ihr könnt gar nicht derart bescheuert tun, dass ich euch denn deswegen nicht mehr so sehr lieben würde, wie ich das schon immer getan habe!

Zur Erinnerung an alle Bibelfesten:

Mögt ihr euch erinnern, was der Herr als erstes getan hat, nachdem der Herr die Menschen aus dem Paradies verjagt hat?

Richtig: GOTT DER HERR machte dem Menschen und seinem Weibe Röcke von Fell und legte sie Ihnen um (Gen 3,21)!!!

Wenn wir Menschen nun also durch Jesu Tod und Auferstehung erlöst sind, dann, ja dann können wir selbst nämlich gar nichts mehr dafür tun. Und wenn wir nichts dafür tun können, können wir schon gar nichts dafür tun müssen! Isch doch logisch, oder?

Wir können uns also noch so fromm und religiös gebärden, ein one-way-ticket ins Paradies können wir uns damit bestimmt nicht erkaufen, denn genau dieses irgendwelchen "göttlichen-wenn-auch-von-Menschen-erfundenen-Gesetzen-gehorchen-zu-müssen-um-in-den-Himmel-zu-kommen" hat Jesus aufgehoben und ad absurdum geführt! In ihm sei das Gesetz erfüllt, sagt er, und: er hat keine direkten Handlungsanweisungen gegeben, ausser "So sollt ihr beten" (Mt 6, 5ff). Und ganz besonders natürlich das "höchste Gebot", nämlich Gott und den Nächsten zu lieben wie uns selbst (Mt 22,36ff)!

Und nur das sollen und können wir nämlich auch!



JA! Wir sind erlöst! DEFINITIV!

JA! Wir sind frei von religiösen Zwängen! Endgültig und ein für allemal!

Und genau deshalb sind wir aufgerufen, uns als reife, freie und nur Gott verantwortliche Christen zu benehmen. Wir haben nichts zu verlieren, aber bereits alles gewonnen!

Um es mit einer meiner Lieblings-Bibelstelle zu sagen:

"Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles ist zuträglich. Alles ist mir erlaubt, aber nichts soll Macht haben über mich." (Paulus in 1Kor 6,12).

Freuen wir uns also, und vergessen wir alles verknorzt-weinerlich-selbsterniedrigende religiöse Getue. Auf den Punkt gebracht hat das der gute alte Dr. Martin Luther:

"Aus einem verzagten Arsch ist noch kein fröhlicher Furz gekrochen!"


Gustav Mahler widmete der Auferstehung des Herrn seine zweite Sinfonie. In diesem Sinne wünschen Orlando und Fufi euch allen frohe Ostern!

Karfreitag

via dolorosa - schmerzenreiche Strasse

Zwischen Mittag und 15.00 verdunkelte sich nach der Überlieferung die Sonne im ganzen Land. Am Karfreitag verdunkelt sich unser Antlitz, Menschen die wir sind - man möchte sein Gesicht vergraben, eine Kapuze oder ein Kopftuch überziehen, eine Sonnenbrille und einen Schal anziehen. Am heutigen Tag wurde der Menschen Sohn verraten, verleugnet, verhaftet, gerichtet, gefoltert, gequält, ausgepeitscht, verhöhnt, ans Kreuz geschlagen und er verreckte elendiglich. Ecce homo. I.N.R.I. - Gottes eigener Sohn verdurstet, tödlich verwundet, blutend, mit Dornenkrone, Eisennägel durch Hände und Füsse gerammt, halbnackt, mit einem Speer verwundet.


Der höchsten Schmerzen Tag! Da müsste, wähn ich, was lebt, was atmet, nur weinen ach und trauern!

Es ist das Urbild unserer Kultur. Anthropologisch gesehen relativ jung. Aber: es ist das bisher Radikalste, was ein Mensch denken kann, und deshalb hat es die Welt so radikal verändert, und tut es noch heute. Es ist die eine Hälfte dessen, was das Christentum, was Gottes Heils
plan ausmacht: Gott opfert seinen eigenen Sohn, der die Sündenlast hinwegträgt und uns alle erlöst: Das Angebot Gottes ist verstörend, total, beispiellos.

Ein politisches Hickhack ist in den Evangelien übereinstimmend belegt: die Passion des Jesus von Nazareth. Die Häscher suchten in im Garten Gethsemane auf, wo er gestern Abend mit den Jüngern gebetet hatte. Durch seinen Kuss identifiziere Judas den Nazarener (siehe Karmittwoch) und auch seine Vorsehung, dass Petrus in zweimal verleugnete, bewahrheitete sich, bevor der Hahn krähte. Jesus wurde am Morgen vor die Hohepriester gebracht, die ihn der Blasphemie beschuldigten. Da sie keine Kompetenz hatten, ihn zum Tode zu verurteilen, gelangten sie am Freitag morgen an den römischen Statthalter Pontius Pilatus. Weil sich Jesus laut Anklage der jüdischen Hohepriester selber zum „König der Juden“ gemacht habe, sei er
damit zu einer Bedrohung für den Kaiser in Rom und dessen Territorialansprüche geworden. Pilatus hatte ein mulmiges Gefühl bei der Sache und liess dem Volk die Wahl: heute lass' ich einen Gefangenen frei, wen wollt ihr, Jesus oder Barrabas? Das Volk wählte den letzteren. Pontius Pilatus hatte eine weitere Idee: Er berief Herodes Antipas, den König der Galiläer, der schon Johannes den Täufer hatte töten lassen - er solle über den Nazarener richten. Da dieser von Jesus weder eine Antwort noch ein Wunder zu sehen bekam, legte er ein purpurnes Gewand an, verspottete ihn und erliess den Befehl zur Vollstreckung der Todesstrafe. So ko
nnte sich Pilatus seine Hände in Unschuld waschen.

via dolorosa, via crucis: Dem Verurteilten wurde ein Kreuz auferlegt, er sollte sein eigenes Todesinstrument durch die Strassen Jerusalems zum Hügel Golgatha tragen. 1991 definierte Papst Johannes Paul II. folgende 14 Stationen nach der Heiligen Schrift (wovon allerdings direkt in den Evangelien nur deren acht belegt sind), die eine umfassende Version des Kreuzweges darstellen:

  1. Jesus im Ölberg: im Garten Gethsemane trug er seinen Jüngern auf, auf ihn Acht zu geben, während er abgeschieden zu seinem Vater betete. Als er nach einer Stunde zurückkam, waren die Jünger eingeschlafen: "Der Geist ist willig, das Fleisch ist schwach" (Matth. 26.36)
  2. Jesus wird verhaftet: Judas verrät ihn an die Häscher.
  3. Jesus vor der Priesterschaft, den Sanhedrin: "Wenn du der Messias bist, dann sag es uns!" - «Ihr glaubt doch nicht, was ich euch sage (...) Schon bald wird der Menschensohn auf dem Platz an der rechten Seite Gottes sitzen.» - empört schrien alle: «Willst du damit etwa sagen, daß du der Sohn Gottes bist?» Jesus antwortete: «Ihr habt recht, ich bin es!" - "Wozu brauchen wir noch Zeugem, wir alle haben die Gotteslästerung gehört". (Luk 22:66-71)
  4. Jesus wird von Petrus verleugnet: Petrus (siehe Karmittwoch) setzte sich im Hofe des Geängnisses zu einigen Leuten, eine Frau erkannte ihn und sagte: "Du bis auch einer von enen!" - Petrus sprach: "Ich kenne ihn nicht".
  5. Jesus vor Pontius Pilatus
  6. Jesus wird ausgepeitscht und geschlagen. Eine Dornenkrone wird auf sein Haupt gesetzt.
  7. Jesus trägt das Holzkreuz. Unter den "Kreuzigt ihn!"-Rufen der Priester und des Volkes tritt Jesus den Weg zum Kalvarienberg an.
  8. Simon von Cyrene wird gezwungen, Jesus das Kreuz zu tragen.
  9. Jesus trifft auf die Frauen von Jerusalem: "Töchter Jerusalems, weinet nicht über mich, sondern weinet über euch selbst und über eure Kinder; denn siehe, Tage kommen, an welchen man sagen wird: Glückselig die Unfruchtbaren und die Leiber, die nicht geboren, und die Brüste, die nicht gesäugt haben! Dann werden sie anheben, zu den Bergen zu sagen: Fallet auf uns! und zu den Hügeln: Bedecket uns! Denn wenn man dies tut an dem grünen Holze, was wird an dem dürren geschehen?" (Luk, 23:27-31)
  10. Jesus wird an das Kreuz geschlagen. So wie zwei verurteilte Kriminelle zu beiden Seiten von Jesu Kreuz. "Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun" (Lukas 23:34)
  11. Jesus verheisst sein Königreich dem guten Dieb. Der eine der anderen Gekreuzigten sagte: "Bist du nicht der Messias? Rette uns und dich!". "Der andere aber antwortete und strafte ihn und sprach: Auch du fürchtest Gott nicht, da du in demselben Gericht bist? Und wir zwar mit Recht, denn wir empfangen, was unsere Taten wert sind; dieser aber hat nichts Ungeziemendes getan.Und er sprach zu Jesu: Gedenke meiner, Herr wenn du in deinem Reiche kommst! Und Jesus sprach zu ihm: Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradiese sein." (Lukas 23:40-43)
  12. Jesus spricht zu seiner Mutter und dem geliebten Jünger. Der geliebte Jünger ist vermutlich Johannes. "Mutter, nimm ihn als deinen Sohn an!".
  13. Jesus stirbt am Kreuz. "Es war aber um die sechste Stunde; und es kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde. Und die Sonne ward verfinstert, und der Vorhang des Tempels riß mitten entzwei. Und Jesus rief mit lauter Stimme und sprach: Vater, in deine Hände übergebe ich meinen Geist! Und als er dies gesagt hatte, verschied er." (Luk 23:44-46)
  14. Grablegung Jesu. Am Abend sprach Joseph von Arimathea bei Pilatus vor und verlangte den Leichnam des Jesus. Er wickelte ihn in Leinen und brachte ihn zu einer Höhle und rollte einen grossen Stein vor den Eingang.
"Consumatum est" - es ist vollbracht.

Donnerstag, 21. April 2011

Gründonnerstag

-- O sacrum convivium - o heiliges Gastmahl!

Gegen Ende der Karwoche - nach neuesten Erkenntnissen am Mittwoch,1. April 33 - haben sich Jesus von Nazareth und seine Apostel zu ihrem letzten gemeinsamen Mahl versammelt (Bild: Juan de Juanes 1523-79). Man halte sich vor Augen, dass die Geschehnisse sich im Kontext des jüdischen Pessah-Festes zutrugen. Die dreizehnköpfige Gemeinschaft plus Zugewandte verstanden sich als Juden und achteten die Gebote. Das Markus-Evangelium (14:18 ff.) erzählt die Geschichte so:

"Und als sie zu Tische saßen und aßen, sprach Jesus: Wahrlich, ich sage euch: Einer unter euch, der mit mir isset, wird mich verraten. 19. Und sie wurden traurig und sagten zu ihm, einer nach dem anderen: Bin ich's? und der andere: Bin ich's? 20. Er antwortete und sprach zu ihnen: Einer aus den Zwölfen, der mit mir in die Schüssel taucht. 21. Zwar des Menschen Sohn geht hin, wie von ihm geschrieben steht; weh aber dem Menschen, durch welchen des Menschen Sohn verraten wird. Es wäre demselben Menschen besser, daß er nie geboren wäre.
22. Und indem sie aßen, nahm Jesus das Brot, dankte und brach's und gab's ihnen und sprach: Nehmet, esset; das ist mein Leib. 23. Und nahm den Kelch, dankte und gab ihnen den; und sie tranken alle daraus. 24. Und er sprach zu ihnen: Das ist mein Blut des neuen Testamentes, das für viele vergossen wird. 25. Wahrlich, ich sage euch, daß ich hinfort nicht trinken werde vom Gewächs des Weinstocks bis auf den Tag, da ich's neu trinke in dem Reich Gottes."

Der Gründonnerstag steht ganz im Zeichen der Erinnerung dieses zentralen Geschehens. In der Eucharistiefeier, der heiligen Kommunion im katholischen, der Abendmahlsfeier im reformierten Ritus, wird bis auf den heutigen Tag der Worte Jesu ("das ist mein Leib, mein Blut") gedacht und gleichsam wird dabei Christus in der eucharistischen Gemeinschaft mit seinem Wort, im Glauben, und in den Gaben von Brot und Wein gegenwärtig. Aus der Beschaffenheit dieser Gegenwart ergibt sich einer der Hauptunterschiede im Kirchenverständnis zwischen Protestanten und Katholiken (Transubstantation): Für die Reformierten gilt solus Christus, sola scriptura - geistige Präsenz in Wort und Glauben, während die Römisch-Katholische Kirche totus Christus, der Leib des Christus selbst ist, der Leib und das Blut Christi in der Kommunion eben real anwesend sind.

Zu Pessah wurden überall im Land die Lämmer geschlachtet. Die Lamm-Motivik nimmt auch in der Oster-Theologie einen grossen Raum ein: Christus ist das Opferlamm Gottes Agnus Dei, das "geschlachtet" wurde, um die Sünde der Welt hinwegzutragen - Agnus Dei, qui tollis peccata mundi, miserere nobis.

Was aber haben Jesus und die Jünger gegessen? Die Bibel schweigt dazu, wir wissen bloss, dass an der Tafel Wein und Brot gereicht wurden. Aber was noch? Gab es nicht wenigstens eine Gemüsebeilage oder einen Brotaufstrich?
Es ist offensichtlich, dass neben dem theologischen in der Abendmahlsepisode auch eine "Bauch"-Seite angesprochen wird, es handelt sich um ein Gastmahl, nicht um eine kultische Handlung. Es ist davon auszugehen, dass der oder die unbekannten Gastgeber ordentlich was aufgetischt haben. Den Sohn Gottes hat man nicht jeden Tag im Haus!
Vermutlich war es ein kosheres Buffet (kein Schweinefleisch, keine Milchprodukte mit Fleisch zusammen), diese Grundgesetze sind in der Tora festgelegt. Wahrscheinlich hat man auch frisch geschächtetes Lammfleisch gegessen. Es dürften landesübliche Früchte und (z.B. eingelegte) Gemüse, sowie möglicherweise auch Fisch verspiesen worden sein. Eine hübsche moderne Version haben irre Spezialisten zusammengestellt und nachgekocht.

Wäre Orlando einer der Jünger gewesen, er hätte sich wohl an dem gebackenen Apfel, der Koriandersuppe und dem Lammgigotbraten mit Aprikosen delektiert, die Bratensauce mit dem ungesäuerten Brot aufgeputzt, hätte ein paar Eier und leckere Tzimmes und Jerusalem Pickels gegessen, und die Caramelmandeln zum Dessert gelobt, eine frische Feige mit dem Messer schälend. Die Tischgespräche dürften mit solch ausergewöhnlichen Menschen gewiss ein weiterer Pluspunkt des Gastmahls gewesen sein.

Mit der Gabenbereitung im liturgischen Kontext zwingend verbunden ist übrigens der berühmte und wunderschöne Hymnus "Ubi caritas":

Ubi caritas et amor
Deus ibi est.
Congregavit nos in unum Christi amor
exsultemus et in ipso iucundemur.
timeamus et amemus Deum vivum
et ex corde diligamus nos sincero.

(Zusammengebracht in eins hat uns die Liebe Christi
lasset uns jauchzen und uns in ihm freuen
lasset uns fürchten und lieben den lebendigen Gott
und von Herzen uns einander lieb haben.)

"Wo Güte und Liebe ist, da ist Gott" - die schönste musikalische Version, die ich kenne, ist ein feiner Chorsatz des französischen Nachkriegskomponisten Maurice Duruflé.

Mittwoch, 20. April 2011

Karmittwoch

Nehmen wir also an, die Jesus-Crew lebte nach ihrem triumphalen Einzug in Jerusalem und vor der Verhaftung ihres Anführers für ein paar Tage in Jerusalem und fand Zeit für Tagesausflüge ins benachbarte Bethanien (siehe Karmontag). Drei von vier Evangelien berichten, dass an einem dieser letzten Tage Folgendes sich zutrug:


Und der Juden Ostern war nahe, und Jesus zog hinauf gen Jerusalem. Und er fand im Tempel sitzen, die da Ochsen, Schafe und Tauben feil hatten, und die Wechsler. Und er machte eine Geißel aus Stricken und trieb sie alle zum Tempel hinaus samt den Schafen und Ochsen und verschüttete den Wechslern das Geld und stieß die Tische um und sprach zu denen, die die Tauben feil hatten: tragt das von dannen und macht nicht meines Vaters Haus zum Kaufhause! Seine Jünger aber gedachten daran, daß geschrieben steht: Der Eifer um dein Haus hat mich gefressen. Da antworteten nun die Juden und sprachen zu ihm: Was zeigst du uns für ein Zeichen, daß du solches tun mögest? Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Brechet diesen Tempel, und am dritten Tage will ich ihn aufrichten. Da sprachen die Juden: Dieser Tempel ist in 46 Jahren erbaut; und du willst ihn in drei Tagen aufrichten? (Er aber redete von dem Tempel seines Leibes). (Joh., 2:13-22)

Was für ein Rambo! Kein Wunder hat er damit die Hohepriester und das Establishment gegen sich aufgebracht! Aber verlassen wir diesen Schauplatz (Bild: Giuseppe Passeri, ca. 1712), die Sanftmütigen mögen diese Episode nicht und zweifeln ihre Echtheit an, da sich doch das rabiate Auftreten des Gottessohns nicht mit der Bergpredigt decke!

Irgendwann nach dem Gastmahl zu Bethanien (siehe Karmontag) ging der über die Verwendung des teuren Parfüms erzürnte Kassenwart des Jüngervereins, Judas Ischariot, in einer freien Minute zu den Sanhedrin, einer Art Stadtgericht, und konspirierte mit ihnen - für 30 Silberlinge - den Jesus von Nazareth zu verraten. (Bild: Der Kuss des Judas, Caravaggio, 1603 - zeigt wie Judas den Christus bei seiner späteren Verhaftung mit dem Kuss identifiziert). Über Judas wurde viel Geschrieben, hier nur ein paar bescheidene Gedanken:

1) Judas war in seinem Verhalten Erfüllungsgehilfe, ein Agent im Dienste des Heilsplans Gottes. Sein Verschulden wiegt daher weniger schwer, schon nur weil Jesus in Judas seinen "Verräter" erkannt hat. An ihm kann die ganze Diskussion zum freien Willen des Menschen
geführt werden.

2) Judas war möglicherweise ein Zelot: Die Enttäuschung vieler darüber wog schwer, dass Jesus nicht der Messias im politisch-weltlichen Sinne war, sondern ein jenseitiges Gottesreich anstrebte. In Judas Ischariots Tun manifestiert sich die emanzipierende Schritt weg vom innerjüdischen Problem hin zu einer universal-menschlichen Dimension.

3) Die Jesus-Story braucht einen Bösewicht! Wobei Judas natürlich nicht der Gegenspieler Jesu ist, sondern der Anti-Petrus. Judas Verrat ermöglicht es dem ersten der Jünger, Simon Petrus, erst in dramaturgischen Sinne seiner privilegierten Rolle gerecht zu werden und im
Verlauf der weiteren Entwicklung des Christentums eine entscheidende Rolle zu spielen, nämlich (nach Jesum Verleugnung bei dessen Verhaftung) in tätiger Reue als erster Zeuge des Auferstandenen und als Gründer der ersten Kirche von Rom ("Stuhl Petri") nach dem Jesus-Wort: Tu es Petrus, mein Fels, auf dir will ich meine Kirche bauen.

Und weil Rambazamba im Tempel müde und hungrig macht, gibt es heute Abend bei Orlando ein Abendmahl.

Montag, 18. April 2011

Kardienstag

In den Evangelien ist nicht eindeutig feststellbar, an welchem der Tage in der letzten Woche im Leben von Jesus Christus was genau geschah. So ist fraglich, an welchem Tag Jesus eigenhändig die Händler aus dem Tempel trieb. Im orthodoxen Ritus steht der Heilige Dienstag der Karwoche ganz im Dienst der Parabel der Zehn Jungfrauen. (Bild: William Blake) Das Matthäus-Evangelium (Matth. 25:1-13) erzählt sie so:

"Dann wird es mit dem Himmelreich sein wie mit zehn Jungfrauen, die ihre Lampen nahmen und dem Bräutigam entgegengingen. Fünf von ihnen waren töricht und fünf waren klug.
Die törichten nahmen ihre Lampen mit, aber kein Öl, die klugen aber nahmen außer den Lampen noch Öl in Krügen mit. Als nun der Bräutigam lange nicht kam, wurden sie alle müde und schliefen ein.
Mitten in der Nacht aber hörte man plötzlich laute Rufe: Der Bräutigam kommt! Geht ihm entgegen! Da standen die Jungfrauen alle auf und machten ihre Lampen zurecht.

Die törichten aber sagten zu den klugen: Gebt uns von eurem Öl, sonst gehen unsere Lampen aus. Die klugen erwiderten ihnen: Dann reicht es weder für uns noch für euch; geht doch zu den Händlern und kauft, was ihr braucht. Während sie noch unterwegs waren, um das Öl zu kaufen, kam der Bräutigam; die Jungfrauen, die bereit waren, gingen mit ihm in den Hochzeitssaal und die Tür wurde zugeschlossen.
Später kamen auch die anderen Jungfrauen und riefen: Herr, Herr, mach uns auf! Er aber antwortete ihnen: Amen, ich sage euch: Ich kenne euch nicht. Seid also wachsam! Denn ihr wisst weder den Tag noch die Stunde." (Matthäus 25:1-13)

Es geht nicht allein um den jüngsten Tag. Die Parabel von den 10 Jungfrauen verdeutlicht die Aufforderung zur Bereitschaft im Angesichte des "Zweiten Kommens" des Erlösers, des Messias. Christus ist der Bräutigam. Und die Braut sind die Menschen, Mann und Frau. Dabei verkörpern nach alter Überlieferung die klugen Jungfrauen - die sich rechtzeitig mit Öl für ihre Lampen versorgt haben - die christliche Seele, die sich in fünffacher Weise tugendhaft Gott zuwendet; die törichten Jungfrauen, die zwar Öllampen haben, aber kein Öl, symbolisieren fünf Arten der fleischlichen Lust und Verdammnis.

Und wieder sind Frauen, ja nicht nur einfach Frauen, sondern Jungfrauen Objekte der Betrachtung. Für Augustinus von Hippo stehen die fünf Jungfrauen für die fünf Sinne, die je sowohl töricht als auch weise eingesetzt werden können.

Und was das irritierende Nicht-Teilen anbelangt, was dieses - in heutige Begriffe übersetzt - egoistische, auf den eigenen Vorteil bedachte, zynische, spiessige, unsoziale, Abzocker!-Verhalten betrifft: Die letzten Dinge können nicht geteilt und in einem Kollektiv gerecht auf- und verteilt werden: "How can one share faith or testimony? How can one share attitudes or chastity.... Each must obtain that kind of oil for himself.... In the parable, oil can be purchased at the market. In our lives the oil of preparedness is accumulated drop by drop in righteous living." (Spencer W. Kimball)

Es geht hierum: Wer Öl in der Lampe hat ist im Vorteil. Er ist bereit und wachsam.

Ein weiteres wichtiges Gleichnis zum heutigen Tage, das in der orthodoxen Liturgie wesentlich ist, wage ich selber nicht einmal anschneiden! Judge for yourselves:

Karmontag

Karmontag - je nach Liturgie geschah an diesem Tag folgendes:

1) Die Salbung von Bethanien: Jesus und die Jünger waren im Hause Simons geladen. Eine Prostitierte/Sünderin (einige sagen: Maria Magdalena) kam ebenfalls zu Simon und brach in Tränen aus, warf sich vor die Füsse des Herrn und wusch sie mit ihren Tränen, goss ein teures Parfum über sie aus und wischte die Füsse mit ihren Haaren ab.


  • nach der einen Version protestierte Judas: man hätte das teure Parfum verkaufen können und den Erlös den Armen geben sollen! Jesus sprach: "die Armen werden noch lange da sein, ich aber nicht mehr so lange." (Joh. 12:8)
  • nach einer anderen Version (Lukas) erzählte er Simon, dem Pharisäer, der sich beschwerte, die Frau sei doch eine Hure und voller Sünde, die Parabel von den beiden Schuldnern: ein Gläubiger hatte zwei Schuldner, einer schuldete ihm 50 Denaren und ein anderer 500 Denaren. Als keiner bezahlen konnte, erliess er beiden ihre Schuld. Wer wird ihn nun mehr lieben? "Derjenige, der ihm mehr schuldete", sagte Simon". "Richtig", sagte Jesus. Und auf die Frau zeigend: "Ihr sind ihre vielen Sünden vergeben, weil sie (mir) so viel Liebe gezeigt hat. Wem aber nur wenig vergeben wird, der zeigt auch nur wenig Liebe." (Lk, 7:47)
Das wirft zwei interessante Aspekte auf Jesus Christus Frauenbild, finde ich. Einerseits anerkennt er, dass die Frau zu Bethanien seinen nahenden Tod mit ihrer weiblichen Intuition vorausahnt, als einzige, noch vor den Jüngern, indem sie das teure Parfum nicht verkauft, sondern es dem todgeweihten Mann aus Nazareth, dem König, dem Menschensohn weiht.
Zum anderen nimmt er sich - einmal mehr eines Outcast, einer Gescheiterten, einer wunden, beschädigten Seele nicht nur an; er trägt die Sündenlast der Frau nicht trotz sondern wegen ihrem Lebenswandel erst recht hinweg. Er interessiert sich allein, wie stark sie ihn lieben kann. Und anerkennt in diesem Zusammenhang ihre Handlung, Leistung als exklusiver, als höherwertig an, als jene eines Schuldners, der weniger schuldet und daher auch weniger lieben (muss?).

Eine dritte Geschichte am heiligen Montag, ist jene vom Feigenbaum, der Blätter trug, schöne saftige, aber keine Früchte. Jesus verfluchte den Baum und er verdorrte sofort.

Nebst eines "Beweises" der Göttlichkeit Jesus' und seiner Autorität über die Natur, steht der Feigenbaum für einen hohl gewordenen Glauben, einer der zwar hübsch anzusehen ist, aber eitel, verkümmert, ohne Frucht eben. Manche sehen darin das symbolische Ende der exklusiven Beziehung Gottes mit dem jüdischen Volk.

Als die Jünger sich die Augen reiben und fragten: "Wie konnte der Baum so schnell verdorren?", sprach Jesus den berühmten Satz, wonach der Glaube Berge versetzen kann.

Donnerstag, 14. April 2011

Goldstones Reue - Güzelgüns Motzen - Jungs Weissagung

Dies ist ein Platzhalter - die Fortsetzung vom letzten Thread. Nach 200 Kommentaren gibt es automatisch eine neue Kommentarseite, die man mühsam umblättern muss. Diese Einstellung kann ich leider nicht ändern. Also: am besten hier weiterdiskutieren. Bei dieser Gelegenheit habe ich mal einen Blick auf meine Blogstatistik geworfen:

  • Blogspot verzeichnet über 37'000 Mal anklicken der Bar in 9 Monaten (was bedeutet, dass mein Zähler links unten nicht richtig funktioniert)

  • davon allein im März 2011 knapp 7000 Aufrufe

  • Die Besucher kommen überwiegend aus der Schweiz, gefolgt von ca. 4000 Mal aus Deutschland, über 2000 Mal aus den USA (danke, Kat...;-)), weitere öfter auftauchende Länder sind GB, Österreich, Brasilien (!), Finnland. Aus Nordkorea gibt es keine Aufrufe.

  • die meisten gelangen durch "Direktwahl", also durch Einfügen der Webadresse (hoffentlich aus der Favoritenliste, ganz oben!) hierher, viele (wohl erstmalige) über Google, etliche Hundert via Maxwort.wordpress und verhältnissmässig wenige via Mamablog (durch anklicken meines Namens).

  • nach einem steilen Start im Juli 2010 (über 8000 Hits) ging es mit Orlando's Bar stetig bergab, bis ab Anfang Januar 2011 ein verrückter Anstieg der Aktivität zu verzeichnen ist

  • Der meistangeklickte Blogeintrag ist Eni's Reportage über die Abtreibung (vom 7. Juli 2010, über 3000 mal angeklickt)!!

  • Es folgen "Geschieht dir ganz Recht, Fehr" und weitere. Die meisten Kommentare generierten die beiden jüngsten Einträge: über 200

Ich würde sagen: Champagner aufs Haus! Und vor allem: gratuliere, liebe Eni!

Donnerstag, 7. April 2011

Goldstones Reue - Güzelgüns Schmollen - Jungs Weissagung

Zwei Aufreger in meinem Leibblatt und ein Aufsteller beim nokturnalen Herumstreifen in den Tiefen und Weiten der elektronischen Jagdgründe. Ist das Internet so etwas wie das kollektive (Wach-)Bewusstsein geworden? Steuern wir auf einen Gedankenkollektivismus orwellschen Ausmasses zu? Und wo bleiben unsere Träume und die Geheimnisse? Wo bleibt die dunkle, wilde, andere, verborgene Seite unseres Wesens, wenn der grosse 24h-Datenstrom alles verschluckt, verwertet und wieder ausspukt, was uns ausmacht?
Carl Gustav Jungs Zitat unten kann auf vielerlei Arten gelesen werden.

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Wer erinnert sich noch an den Goldstone-Report vor zwei Jahren? Im Auftrag der UNO untersuchte der südafrikanische Richter den Gazakrieg 2008/09 - wir erinnern uns verschwommen an eine Seeblockade gegen die Hamas im letzten Jahr, an türkische Schiffe mit kaum Hilfsgütern dafür pro-palästinensischen Aktivisten an Bord (u.a. Henning Mankell), die von israelischen Soldaten geentert wurden, wogegen sich die Fanatiker mit Messern zu Wehr setzten.

Der Goldstone-Report im Auftrag des UNO-Menschenrechtsrat hatte Verbrechen gegen des Kriegs-Völkerrecht auf beiden Seiten (bei der Hamas und den Israelis) festgestellt. Während Israel dagegen empört und vergeblich protestierte, sagte die Hamas stets, es sei ihr Recht, zivile Opfer bei ihrer Kriegsführung in Kauf zu nehmen.


Nun krebst Richard Goldstone zurück. Man könne Israel den Vorwurf nicht mehr machen, es habe mit Absicht zivile Ziele bombardiert. Ausserdem habe die israelische Seite armeeintern über 400 Untersuchungen zu den orwürfen angeordnet - bei der Hamas: null.

Während der Goldstone-Report damals im "Tagesanzeiger" ganze Themenseiten über den nun schwarz auf weiss bewiesenen Staatsterrorismus und den menschenverachtenden Charakter der Israelis hervorrief, gibt dieselbe Zeitung am Dienstag kleinlaut bei: drei verschämte Spalten der radikalen Antiisraelin Claudia Kühner (ihres Zeichens Auslandkorrespondentin des "Tagesanzeigers" in Tel Aviv) unten links auf der letzten Ausland-Seite.

Nur damit sie wissen, geschätzte Bargäste, wieviel Skepsis bei der Lektüre über Menschenrechte in unserem Leibblatt Tagesanzeiger in Zukunft angebracht wäre. Und überhaupt bei Kühners Texten!

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"Die Diskussonen um Minarette und Ausschaffungen haben den Boden geschaffen, offen fremdenfeindlich zu sprechen", motzt Zülfikar Güzelgün. Der türkischstämmige eingebürgerte Schweizer kandidierte auf der SP-Liste für einen Sitz im Kantonsrat - und hatte "keinen Stich, wegen seines Namens", weiss unser Lieblingsmedium. Und doppelt nach, dass es vielleicht bei den SP-Wählern fremdenfeindliche Tendenzen gebe. Denn die haben offenbar nicht so weltoffen und tolerant ausländische Namen gewählt, wie das die Parteidoktrin vorsähe. Jedenfalls haben es in Güzelgüns Wahkreis ausgerechnet die helvetischen Urgesteine Andrew Katumba und Fiametta Jahreiss für die Sozis ins Parlament geschafft - er ein Schwarzer und sie eine Toskanerin.

Aber, Güzelgün will motzen und der Tagi will eine Geschichte. Zülfikar Güzelgün kam übrigens 1971 in die Schweiz und fühlt sich (nicht schwindlig werden!) als "Türke, als Anatolier aber auch als Kurde und als Alevit auch noch". Bei Fussballspielen hilft er der Türkei. Seine Buben heissen Fabian und Kamil. Der Mann hatte laut Tagi Glück: dank seinem "Beziehungsnetz" musste sich der Finanzberater nie um eine Stelle bewerben. Er wäre sonst selbstredend der "-ic"-Feindlichkeit der Schweizer Rassisten zum Opfer gefallen.

Dass er nun nicht gewählt wurde, ist dem von der SVP bereiteten fremdenfeindlichen Boden zuzuschreiben, ganz klar! Oder wahlweise verstecktem Fremdenhass unter den Sozialdemokraten!
Immerhin, dass der Mann vielleicht doch nicht die anderen für alles verantwortlich macht, klingt in seinem letzten Satz an: "Vielleicht muss ich beim nächsten Mal mein türkisches Umfeld besser aktivieren und eingebürgerte Freunde zum Wählen motivieren".

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2011 ist auch ein C.G. Jung-Jahr, sein Todestag jährt sich am 6. Juni zum 50. Male. Diese Perle auf Youtube gefunden, ein Interview des Schweizer Psychologen mit der BBC am Zürisee ende der Fünfziger Jahre. Auszüge:
"We know nothing of man. Far too little. The psyche should be studied, because we are the origin of all coming evil. (...)

(Reporter): As the world becomes more technically efficient, it seems increasingly necessary for people to behave communally and collectively. Is it possible, that the highest development of man will maybe submerge his own individuality into a kind of collective consciousness?

(Jung): That's hardly possible. I think there will be a reaction. A reaction against this commun..(-itarian?, Anm. d. Red.) dissociation. Man doesn't stand for ever his nullification. Once there will be a reaction. And I see it setting in, you know, when I think of my patients: they all seek their own existence (...) against this complete atomisation into nothingness...or meaninglessness. Man cannot stand a meaningless life."
Youtube - Face to face with Carl Jung (4/4), Transkription by O.